Die Geschichte der Braugasse 1 in Hoyerswerda

Gitta Nathan

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Bildung im engeren und im weiteren Sinne hat im langen Leben des Hauses „Braugasse 1“ fast immer eine große Rolle gespielt. Es beherbergte das Reform-Realgymnasium, später das Pionierhaus, noch später den Kinder- und Jugendtreff und dann die KuFa. Dass in den 1960-er Jahren hier aber ganz „normaler“ Schulbetrieb war, das wissen nicht so viele. Zwei aber wissen es ganz genau, denn sie haben hier unterrichtet: Gitta Nathan und Helmut Töppel, er war sogar der Direktor. Gitta Nathan hat für das Kramen in Erinnerungen in ihr hübsches Wohnzimmer geladen, den Tisch wunderbar gedeckt und schon Material bereit gelegt. Helmut Töppel ist wohnt seit einigen Jahren in Wittichenau. Die Freude, sich wieder einmal auf einen Schwatz zu treffen, steht den beiden ehemaligen Kollegen ins Gesicht geschrieben. „Es war eine so schöne Zeit!“ Gitta Nathan kommt noch immer ins Schwärmen. „Wir waren jung und so ein tolles Kollektiv. Wir hatten so viel Spaß – und aus vielen unserer Kinder ist richtig was geworden.“ Wenn man den beiden zuhört, glaubt man das sofort. Immer wieder „Weißt du noch?“ und fast jede Anekdote wird von einem vergnügten Lachen begleitet. Dabei waren die Unterrichtsbedingungen alles andere als ein reines Vergnügen. Ehe im Jahr 1967 Lehrerschaft und Kinderschar in den Neubau der Oberschule VI in der Karl-Marx-Straße, der heutigen Kolpingstraße, umziehen konnte, lernten 400 (!) im ehrwürdigen Haus am Markt. In den unteren Räumen wurde die Unterstufe unterrichtet. Oben waren die Naturwissenschaften. Im Bereich des ehemaligen Café Stilbruch war der Chemieraum, das Reich von Lothar Nathan, Gitta Nathans Ehemann. „Wenn er Versuche gemacht hat, die Hitze entwickelten, hat er die oft draußen auf der Treppe abkühlen lassen…“

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Dass die Treppe sicher schon damals nicht so ganz sicher war, wusste wohl Gott sei Dank noch niemand. Und wenn – es hätte sicher wenig geändert, denn es war die Zeit der Improvisation. Darin müssen sie Meister gewesen sein, die jungen Lehrer – aber auch die Schüler der Oberschule VI am Markt. Unterrichtet wurde nämlich auch in zwei Baracken auf der anderen Straßenseite – und teilweise auch in Schichten. Trotzdem konnten nur Kinder bis zur 8. Klasse Platz finden, die weiterführenden Kassenstufen besuchten die POS I und II. Gitta Nathan und Helmut Töppel denken sehr gern an den Hausmeister zurück. „Das war der Herr Fahrenkrug, ein ganz fleißiger Mann! Im Winter mussten ja die Klassenzimmer geheizt werden, da standen Öfen drin. Ganz zeitig ist Herr Fahrenkrug aufgestanden, damit die Kinder es warm hatten. Gott sei Dank wohnte er mit seiner Frau gleich an der Schule, im Anbau, der wurde später angerissen.“ Gitta Nathan sieht die damaligen Bedingungen auch aus einer weiblich-praktischen Perspektive. „Kohleheizung, die vielen Kinderfüße - und Holzfußböden! Sauber gemacht hat die Frau Ruhland. Wissen Sie, wie die sich schinden musste?“

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Und trotzdem war da noch Zeit und Raum für schöne Dinge. „Der Herr Fahrenkrug hatte unten im Erdgeschoss, da war später auch mal die Stadtinformation drin, die schönste Kakteensammlung. Immer wenn ich an den Fenstern vorbei gehe, denke ich daran, wie er die gehegt und gepflegt hat“, denkt Gitta Nathan zurück. In die neue Schule sind die Fahrenkrugs dann nicht mitgekommen. „Bitterlich geweint hatte der Hausmeister am vorletzten Tag. „Die Zeit war zu schön, um anderswo noch einmal anzufangen“, sagte er zu seinem Dirketor Töppel. Als wir dann am nächsten Tag auszogen, herrschte natürlich Freude und Stolz vor. Endlich ein neues Schulhaus! Mit Blasmusik sind wir umgezogen –aber auch mit Wehmut im Herzen. Es war wirklich eine tolle Zeit. Das damals neue Schulhaus ist inzwischen in die Jahre gekommen. Seine Tage als Haus II des Lessinggymnasiums sind gezählt. Ins Haus am Markt hingegen, in das Haus mit den vielen Erinnerungen, zieht endlich bald wieder Leben ein. Das soll auch so sein! Darüber sind sich Gitta Nathan und Helmut Töppel einig. Da muss die Kulturfabrik wieder hin. Dort wurde doch immer so viel gemacht.
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