Die Geschichte der Braugasse 1 in Hoyerswerda
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Dorit Baumeister – Reifeprozess

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Das alt-ehrwürdige Haus in der Braugasse oder Schlossergasse oder auch am Schwarzen Markt blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Es war Ball- und Gesellschaftshaus und Reform-Realgymnasium. Konrad Zuse hatte hier seine humorvollen Karikaturen gezeichnet und trotzdem ein Abitur geschafft, das ihm den Weg zum weltbekannten Wissenschaftler ebnete. Das Haus war sowohl das Gründungshaus der Domowina als auch zeitweise Übergangslösung für eine Polytechnische Oberschule. Es hieß mal Pionierhaus, später Kinder- und Jugendtreff am Markt. 1996 zog die Kulturfabrik mit ein, von da an nannten es viele einfach die „KuFa“. Viele Namen – viele Menschen. Eine Gemeinsamkeit aber galt wohl immer: Es waren oft Kreative, die dort ein- und ausgingen. Das ist Gott sei Dank auch noch heute so - obwohl das mit dem Ein-und Ausgehen auf einer Baustelle so eine Sache ist. Eine Frau, die das Haus aber immer betreten kann, ist Dorit Baumeister, Architektin. 1963 geboren, hatte sie ihre Kindheit in Hoyerswerda verbracht. Studien- und Berufsjahre führten sie nach Berlin und später nach Bayern. 1992 kam sie, die junge Architektin, Ehefrau und Mutter zweier Kinder, wieder zurück nach Hoyerswerda. Es lockte die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Vater ein eigenes Architekturbüro zu leiten, selbst zu gestalten, sich selbst zu verwirklichen. Ganz einfach war das nicht. Dorit dachte oft anders als andere, und sie sagte das auch. Ihre Bauten sahen anders aus als bisher hier gewohnt. Das war Anfang der 1990-er Jahre Grund genug, die kreative kritische Frau nicht minder kritisch zu beäugen. „Es hat schon gedauert, bis ich das Gefühl hatte, dass ich hier wieder Fuß fassen kann. Die Leute waren so mit sich beschäftigt. Es fiel mir schwer, Freunde zu finden“, reflektiert Dorit heute.

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1993 suchte die Stadt Hoyerswerda eine Fläche für die Soziokultur. Eine Industriebrache, das ehemalige Brauereigelände, war ins Auge gefasst worden. Die Stadt hatte bei einem Architekten angefragt, ob er weiß, wer sich eignet, solch einen Bau zu betreuen. Der Mann hatte drei Namen genannt, einen aber mit besonderem Nachdruck: Fragt Dorit Baumeister, das ist die Kreativste. Bald war ein erster Vor-Ort-Termin gemacht: Neben den Verantwortlichen der Stadt kamen vom Verein der KuFa: Uwe Proksch, Helge Niegel, Bernd Nitzsche und Karsten Held. „Ich war jetzt über ein Jahr in Hoyerswerda, ich war noch immer auf der Suche. Als ich die Leute sah, wusste ich: Das könnten die sein, mit denen ich meine Freizeit verbringen möchte, mit denen ich diskutieren kann, mit denen ich was verändern kann – an denen ich mich reiben kann“, sagt Dorit heute. In den darauf folgenenden bisher fast 20 Jahren gab zu all diesen Möglichkeiten mehr als reichlich Gelegenheit. Das Brauereigelände war natürlich für den Bau eines Sozio-Kulturellen Zentrums, wie es so schön sperrig hieß, nicht geeignet. Genau so wenig eignete sich der Lokschuppen am Bahnhofsgelände, der kurz darauf ins Auge gefasst worden war. Die Infrastruktur! Die Gefahren durch die vielen Züge!

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Die aus der KuFa aber – die waren als Freunde, als Partner geeignet. Es kam bei der weiteren Suche nach einem geeigneten Ort die Idee auf, mit der KuFa in den Kinder- und Jugendtreff am Markt zu ziehen. „Wo Kinder betreut werden, kann auch die Jugend sein“, dachte man sich wohl. Freude kam bei beiden Partnern vorerst nicht auf. In Eigeninitiative ging Dorit ans Werk, erforschte den Baubestand und erstellte das Aufmaß. Die Partner der Stadt hingegen schauten, was ein Soziokulturelles Zentrum (SKZ) überhaupt ist. Welche Funktionen hat so etwas, über allgemeine Kultur hinaus? Und noch immer schwang leise die Frage mit: Braucht Hoyerswerda so etwas? Bis 1996 hatte man sich für „Ja“ entschieden, der Stadtrat fasste den Beschluss für eine Rekonstruktion des Hauses. Entstehen sollte eine Freizeiteinrichtung für Kinder- und Jugendarbeit -in Zusammenarbeit mit der KuFa, das SKZ. Zuerst ging man von einer schrittweisen Sanierung unter bewohnten Verhältnissen aus. Die Stadt hatte drei Zuganker in den Dachstuhl einbauen lassen, der Saal durfte nun für 80 ruhende Gäste genutzt werden.

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Parallel laufende bautechnische Untersuchungen brachten bald die totale Ernüchterung: Das Haus war ein einziger Sanierungsfall. Marode, schon im Ursprung falsch bemessene Decken und kein Fundament unter dem Anbau waren die Spitze des Eisberges. Das Büro Lienig & Baumeister erhielt 1997 den 1. Auftrag zur Sanierung, der Entwurf bot – wie die weiteren auch – reichlich Diskussionsstoff. Dennoch sollte der Umbau im Herbst 1998 losgehen. Eine erfolglose Fördermittelakquise verhinderte den Baustart. Ein Jahr später sollte der Bau mit Hilfe des Regierungspräsidiums und eines zinsgünstigen Darlehens finanziert werden. Nun forderte der Stadtrat die Minimierung des Raumprogramms. Das Büro Lienig & Baumeister plante um. Inzwischen war das SKZ wegen fehlender Baufreiheit mit Mann und Maus umgezogen, das neue Domizil fand sich in der Zwischenbelegung in der Alten Berliner Straße. Drei Wochen vor dem Baubeginn am Markt wurde für die Stadt eine Haushaltssperre beschlossen. Alle Bauunterlagen wurden zurückgezogen, die Ausschreibungen aufgehoben.

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Das Büro Lienig &Baumeister legte zwischen 1996 und 1999 insgesamt sechs Varianten vor, die alle eine Reduzierung der Kosten zum Ziel hatten. Favorisiert wurde die Entwurfsplanung der Variante IV. In dieser Zeit hatten jedoch wechselseitig sowohl der Stadtrat als auch die Stadtverwaltung immer wieder begründet, warum der Bau – gerade jetzt – nicht beginnen konnte. Die wirtschaftliche Situation der Stadt verbesserte sich in der Tat nicht. Im Jahre 2000 wollte Dorit die Wirtschaft zum Zwecke der Co-Finanzierung mit ins Boot holen. Der Name Konrad Zuse fand sich im Vereinsnamen „Spirit of Zuse“ wieder, der Verein sollte sich gemeinsam mit der KuFa im Haus am Markt wiederfinden. Was andernorts klappt, muss in Hoyerswerda keineswegs gehen. Das hatte Dorit schon oft erkennen müssen – und so war es auch diesmal wieder. Neu war aber, dass die Freunde aus der KuFa nun auch allergisch reagierten. „Was holt die uns jetzt diese Etablierten in das Haus?“, war eine harmlose Umschreibung der Fragen, die jetzt auftauchten. Bei den Stadtverantwortlichen hatte sie sich mit dieser Idee auch keine wesentlichen Freunde gemacht. „Wie können diese ewigen Berufsjugendlichen aus der KuFa es wagen, Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft mit ihren „spinnerten“ Ideen zu belästigen? Deutlich gesagt wurde außerdem: Das ist ein STÄDTISCHES GRUNDSTÜCK! Was darauf und damit passiert, bestimmen WIR.

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Das Schlimmste war: Formell hatten sie Recht. Dennoch wurde man irgendwie das Gefühl nicht los: Die wollen nicht nur keine KuFa, die wollen auch niemanden, der anders denkt als andere. Ich (die Autorin) erinnere mich sehr gut an ein Gespräch mit einem sehr beliebten, stadtbekannten und lange Zeit in Verantwortung stehenden Mann. Er sagte wörtlich: „Meinetwegen könnt ihr dahinten (Alte Berliner Straße 20) und dort euren Lärm machen!“ Allerdings stand ein neuer Mann an der Stadtspitze – und wie durch ein Wunder lebte die Diskussion um das Bauvorhaben am Markt wieder auf. Tatsache ist aber, dass niemand die Erfolge der Kulturfabrik Hoyerswerda mehr verniedlichen konnte. Projekte wie das Straßentheaterfest, die Prohibitionsparty, Superumbau, Hier bin ich geboren, verwunschene Orte oder später „Eine Stadt tanzt“ erregten die Aufmerksamkeit in der Region und weit darüber hinaus und zogen zahlreiche Besucher nach Hoyerswerda.

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Dorit Baumeister hat an all diesen Projekten einen Riesenanteil. Sie spinnt sie aus und sorgt mit einem solchen Nachdruck für deren Umsetzung, dass man im geringsten Fall staunt und im besten Fall glaubt, man habe das schon immer gut gefunden. Ihre Begeisterungsfähigkeit ist unglaublich bis manchmal nicht mehr zum Auszuhalten. Inzwischen gilt ihr Wort nicht nur in der KuFa. Dorit ist angekommen in der Stadt, so sagt sie jetzt. Das neue Haus wird ihre Handschrift tragen, außen wie innen, in jeder Hinsicht. Bis das Haus fertig ist, wird Dorit noch oft diskutieren, kämpfen, sich reiben. Dorit Baumeister ist (m)eine anstrengende Freundin – und ich bin mit vielen anderen - sehr froh, dass es so ist. Noch weiß ich jedoch nicht, ob es gut ist oder nicht: Wir sind inzwischen alle älter geworden. Aber Wein muss auch lange reifen - oder mancher Käse.
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