Die Geschichte der Braugasse 1 in Hoyerswerda
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Horst Dieter Brähmig

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Horst-Dieter Brähmig kennt seine Stadt. Für ihn, der hier geboren ist und für immer hier zu Hause sein wird, ist das „Kennen“ tief und inzwischen auch: alt. Horst-Dieter Brähmig ist seit über 70 Jahren Hoyerswerdaer. Geschichten könnte er erzählen, so viele. Kuriose. Traurige. Interessante und manche sind schon so oft erzählt, dass niemand merkt, wenn sie geschmückt und ausstaffiert daherkommen. Einige Geschichten klingen wie Legenden. Legenden sind rar in einer kleinen Stadt wie Hoyerswerda. Für Horst-Dieter Brähmig ist das „Haus Braugasse“ ein Ort, der Heimat birgt. „Wenn ich da vorbeigehe, habe ich heimatliche Gefühle. Es ist mir vertraut“, sagt er. Zur Schule ist er hier gegangen. „Wenn ich daran denke, habe ich das Gefühl, es war gestern“, gesteht er und schmunzelt. Vier Jahre, von 1952 bis 1956, hat er auf den harten Holzbänken in vollgestopften Klassenzimmern der Nachkriegszeit gesessen. Er war ein recht guter Schüler. Aber nicht so ein braver. Einer, der auf seinem Platz auch mal „lümmelte“, einer der im Unterricht Zettel kursieren ließ. Einer, der sich aus den Fenstern des Chemieraums auf die Straßen seiner Stadt träumte und nicht merkte, wenn er beim Träumen erwischt wurde… Und wie er so erzählt, von seiner Schulzeit, scheint eines klar: Horst-Dieter Brähmig kann immer noch der sein, der er damals war. Ein Lausbub mit 73! Hätte er als „Pennäler“ gewusst, dass seine alte Schule ihm einmal so viel bedeuten sollte, dass hier einer wie Konrad Zuse Abitur gemacht hat… Aber wer denkt schon als Schüler daran, was einst war oder sein wird. Die Gegenwart ist so allgegenwärtig. Und nur ein kleines bisschen auch die Zukunft: Die Hausaufgaben von morgen, nun ja…

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Konrad Zuse hat, und das ist keine Legende, den Computer erfunden. Ohne ihn wäre es nicht möglich, dass Sie jetzt eben diesen Text lesen. An Ihrem Rechner, auf Ihrem iPad, Telefon, wo auch immer Sie, lieber Leser, gerade sind. Und das nur, und das wiederum ist eine Legende, weil er zu faul zum Rechnen war… Konrad Zuse legte 1928 im Reformrealgymnasium in Hoyerswerda sein Abitur ab. Der Sohn des Oberpostmeisters Emil Zuse war gewissermaßen verspielt, sein Stabilbaukasten für ihn treuer Begleiter. Er war Bastler, Tüftler, in dieser Hinsicht Künstler. In den fünf Jahren, die er in Hoyerswerda verbrachte, baute und konstruierte der künftige Ingenieur – und Horst-Dieter Brähmig ist sich sicher: gefördert von guten, fachkundigen Lehrern der Stadt. Die Industrie in den Lausitzer Braunkohlentagebauen hatte es dem jungen Zuse unter anderem angetan. Riesige Stahlungetüme, Förderbrücken, Schaufelradbagger, die – mit dem Stabilbaukasten nachgebaut – im Kleinen die große Welt der Bewegung erklärten. Dabei verstand Konrad Zuse schnell: Alles hat mit Mathematik zu tun. Hinter einem Winkel steckt eine Gleichung. Eine Gleichung muss berechnet werden. Rechnen folgt bestimmten Regeln, das kostet Zeit. Und diese Zeit sollte man sich doch sparen! Wer wird sich denn die Mühe machen… Können das nicht Geräte übernehmen? So wie Förderbrücken transportieren, Bagger schaufeln, Motoren alles in Bewegung setzen, muss es doch auch eine Rechen-Maschine geben!

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1941 präsentierte Konrad Zuse, der sein Studium als Bauingenieur längst in der Tasche hatte und bei den Henschel-Flugzeugwerken in Berlin-Schönefeld als Statiker das lange Berechnen leid war, seine Erfindung: den ersten, vollautomatischen, programmgesteuerten und frei programmierbaren, in binärer Gleitpunktrechnung arbeitenden Rechner. Eine monströse Anlage, raumfüllend. Aber längst nicht so groß wie ein Schaufelradbagger, für dessen Nachbau mit „Walthers Metallbaukasten – Stabil“ er noch 1925 eine Urkunde erhalten hatte… Zwanzig Mitarbeiter hatte Zuse für den Bau des Apparats Z1 in Berlin beschäftigt. Und heute sind Rechner leicht wie eine Feder. Für Horst-Dieter Brähmig war im Jahr 1995 klar: Dieser Mann muss Ehrenbürger unserer Stadt werden. Er hat hier eine wichtige Zeit verbracht, seine Jugend. Brähmig selbst war 1994 zum Oberbürgermeister gewählt geworden, hatte die Geschicke seiner Stadt in die Hand gelegt bekommen. Es waren bedeutende Jahre für ihn und es galt, die Stadt auch nach den Übergriffen auf ein Ausländerwohnheim 1991 aus ihrer Lethargie zu holen. Man muss sich doch auch der Geschichte erinnern, um die Gegenwart zu begreifen und Zukunft zu gestalten.

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Konrad Zuse, der selbst nie einen Computer besaß und dem zunächst die Patentrechte für seine Erfindung verweigert, später jedoch zuerkannt wurden, war nach wie vor klug, aber eben auch weise geworden und sagte Oberbürgermeister Brähmig frei heraus: „Nutzen Sie meinen Namen schamlos aus“. Getan hat er dies, indem er beharrlich den Namen der Stadt Hoyerswerda mit dem Computervater und berühmten Bürger in Verbindung brachte. Die Arbeit, die er und viele seiner Mitstreiter aus der Beschäftigung mit Konrad Zuse heraus gemacht haben, trägt mittlerweile Früchte. Es gibt ein Computer-Museum, eine Zuse-Akademie, ein Zuse-Berufschulzentrum, Hoyerswerda ist „Zuse-Stadt“. Der ehemalige Schüler des Reform-Realgymnasiums Hoyerswerda ist präsent. Eine Plakette erinnert im alten Postgebäude in der Altstadt an ihn und seine Familie. Horst-Dieter Brähmig wohnt schräg gegenüber der alten Post in der Kirchstraße. So hat auch dieses Haus seine Bedeutung für ihn. Dass es so lange leerstand, die Post als kleine Agentur am Markt agiert, machte ihn traurig. Doch jetzt ist Zeit für Optimismus, ein Hoyerswerdaer hat das Postgebäude gekauft, wird es nutzen und erhalten.
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